Seit über einem Jahrzehnt stützt sich die digitale Transformation Europas weitgehend auf Softwarelösungen und Cloud-Dienste aus Übersee. Diese Abhängigkeit, die lange Zeit als Innovationsbeschleuniger angesehen wurde, offenbart heute ihre Grenzen: Verlust von Mehrwert, strategische Verwundbarkeit und Behinderung der digitalen Souveränität. Der jüngste Bericht der Firma Asterès, der vom Cigref in Auftrag gegeben wurde, beleuchtet das Ausmaß und die Folgen dieses Phänomens und zeigt gleichzeitig Wege auf, wie das Gleichgewicht wiederhergestellt werden kann.
Das Ausmaß der digitalen Abhängigkeit Europas
Die Zahlen sprechen für sich: Zwischen 80 und 83 % der europäischen Ausgaben für professionelle Software und Cloud-Dienste werden von US-amerikanischen Unternehmen eingenommen, was jährlich etwa 264 Milliarden Euro ausmacht. Diese "digitale Rechnung" wiegt mittlerweile genauso viel oder sogar mehr als andere strategische Posten wie Energie oder Verteidigung. Sie entspricht fast 1,5 % des BIP der Europäischen Union und ist damit größer als der Jahreshaushalt der EU.
Dies bringt Europa in eine Position der strukturellen Abhängigkeit, in der der Großteil der digitalen Investitionen Wachstum und Beschäftigung außerhalb seiner Grenzen antreibt.
Wirtschaftliche und strategische Folgen
Abwanderung von Werten und Arbeitsplätzen
Der Asterès-Bericht schätzt, dass die Dominanz der US-amerikanischen Akteure in den Bereichen Cloud und Unternehmenssoftware zur Unterstützung von fast 2 Millionen Arbeitsplätzen in den USA beiträgt, die direkt, indirekt und induziert sind. Mit anderen Worten: Jeder Euro, den ein europäisches Unternehmen in eine amerikanische Lösung investiert, trägt zur Schaffung von Wohlstand und Arbeitsplätzen auf der anderen Seite des Atlantiks bei - zum Nachteil des europäischen Wirtschaftsgefüges.
Über ein Jahrzehnt hinweg verlassen fast 421 Milliarden Euro Europa, um das Wachstum und die Innovation der US-amerikanischen Giganten zu finanzieren. Diese Wertabwanderung schwächt die Investitionsfähigkeit der europäischen Akteure und schränkt die Entstehung neuer Technologiechampions auf dem Kontinent ein.
Auswirkungen auf die Zahlungsbilanz und die Wettbewerbsfähigkeit
Die digitale Abhängigkeit belastet die Zahlungsbilanz der Europäischen Union stark, verschärft das Handelsdefizit und schwächt die Position Europas im globalen Wettbewerb. Gleichzeitig erhöht der regelmäßige Anstieg der Gebühren für Cloud-Dienste (von Asterès auf durchschnittlich +10 % pro Jahr geschätzt) die Kosten der Abhängigkeit und schränkt den Handlungsspielraum der europäischen Organisationen ein.
Dies schlägt sich auch in einem Innovationsdefizit nieder: Aufgrund fehlender Ressourcen und unzureichender Marktanteile investieren europäische Anbieter nur zögerlich in Forschung und Entwicklung, wodurch der Teufelskreis der Abhängigkeit fortgesetzt wird.
Operationelle Risiken und Kontrollverlust
Abgesehen von den wirtschaftlichen Aspekten setzt die Konzentration digitaler Dienstleistungen in den Händen einiger weniger außereuropäischer Akteure die Unternehmen großen operationellen Risiken aus: einseitige Änderung der Vertragsbedingungen, Unterbrechung von Dienstleistungen oder aufgezwungene Änderungen der Sicherheits- und Datenschutzrichtlinien. Dieser Kontrollverlust kann direkte Auswirkungen auf die Geschäftskontinuität, die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und den Schutz sensibler Daten haben.
Herausforderungen in Bezug auf Souveränität und Sicherheit
Die Frage der digitalen Souveränität geht weit über den technischen oder wirtschaftlichen Rahmen hinaus. Sie berührt die Fähigkeit Europas, die Unabhängigkeit, Sicherheit und Kontrolle über seine kritischen Infrastrukturen zu gewährleisten. In einem instabilen geopolitischen Umfeld, in dem Handelsspannungen und Herausforderungen im Bereich der Cybersicherheit zunehmen, stellt die Abhängigkeit von ausländischen Akteuren ein großes strategisches Risiko dar.
Datenkontrolle und Einhaltung von Vorschriften
Die Speicherung und Verarbeitung sensibler Daten in außereuropäischen Infrastrukturen wirft die Frage auf, ob die DSGVO und andere europäische Vorschriften eingehalten werden. Denn extraterritoriale US-Gesetze wie der Cloud Act ermöglichen US-Behörden den Zugriff auf bestimmte Daten, die von US-Anbietern gehostet werden, selbst wenn diese in Europa gespeichert sind. Dies führt zu Rechtsunsicherheit und dem Risiko, dass strategische Informationen durchsickern.
Die Cloud als geopolitischer Hebel
Der Asterès-Bericht weist darauf hin, dass die US-Dominanz in den Bereichen Cloud und Unternehmenssoftware als Druckmittel bei Handelsverhandlungen oder im Falle internationaler Spannungen eingesetzt werden könnte. Die Fähigkeit, den Zugang zu wesentlichen Diensten zu beschränken oder ungünstige Bedingungen durchzusetzen, stellt eine Verwundbarkeit für Europa dar, das unbedingt seine Lieferanten diversifizieren und seine Autonomie stärken muss.
Szenarien und Hebel zur Wiederherstellung des Gleichgewichts
Angesichts dieser Tatsache schlägt der Asterès-Bericht mehrere Szenarien zur Wiederherstellung des Gleichgewichts vor, die auf einer schrittweisen Umlenkung der digitalen Ausgaben auf europäische Anbieter beruhen.
Die bezifferten Szenarien
- Neu ausrichten 5 % der Einkäufe: Schaffung von 178 000 Arbeitsplätzen und 12 Milliarden Euro Mehrwert in Europa.
- Diesen Anteil auf 10 erhöhen % bis 2030: 331 000 Arbeitsplätze geschaffen und die Flucht von Devisen erheblich verringert.
- Erreichen 15 % bis 2035: 463 000 zusätzliche Arbeitsplätze, 100 Milliarden Euro an Finanzströmen, die in Europa gehalten werden, und eine deutliche Stärkung des europäischen digitalen Ökosystems.
Die Handlungshebel
Um diese Ziele zu erreichen, können mehrere Hebel in Bewegung gesetzt werden:
- Öffentliche Bestellung: Bevorzugung europäischer Lösungen bei der öffentlichen Auftragsvergabe, um lokale Innovationen zu unterstützen.
- Unterstützung des Ökosystems: Förderung von Investitionen in Forschung und Entwicklung, Ausbildung und Unterstützung von Start-ups und KMU im digitalen Sektor.
- Normung und Zertifizierung: Förderung europäischer Standards für Sicherheit, Interoperabilität und Konformität, um das Vertrauen in lokale Lösungen zu stärken.
- Sensibilisierung und Begleitung: Unterstützung von Unternehmen bei der Identifizierung europäischer Alternativen und bei der Bewertung von Abhängigkeitsrisiken.
Möchten Sie mehr über die europäischen Alternativen und die Hebel zur Stärkung Ihrer digitalen Souveränität erfahren? Erfahren Sie, wie sich innovative Akteure für eine vertrauenswürdige, sichere und den europäischen Anforderungen entsprechende Cloud engagieren. Kontaktieren Sie uns, um sich über Ihre Herausforderungen und Projekte auszutauschen!